Donnerstag, 23. Oktober 2014

Das Missverständnis um den Ordnungssinn von Kleinkindern

Maria Montessori beschreibt in ihren Texten und Büchern immer wieder die sensible Phase der inneren und äußeren Ordnung. Dabei kommt es immer wieder zu Fehlinterpretationen. Denn hierbei wird zunächst nicht der Ordnungssinn verstanden, wie wir in als Erwachsene kennen und verstehen.

Für viele Eltern ist es daher unverständlich warum ihre kleinen Kinder so eigentlich garkeinen Sinn für "Ordnung" haben und ihre Spielsachen und Lernanregungen aus den Kisten räumen, kreuz und quer verteilen und keinen Bedarf darin sehen, es auch wieder alles zurück zuräumen.

Liegt diese Fehlinterpretation von Maria Montessori an folgendem Zitat von ihr?

Kleine Kinder zeigen eine charakteristische Liebe für Ordnung. Im Alter von anderthalb bis zwei Jahren bringen sie bereits deutlich, wenn auch in verworrener Form, das Bedürfnis nach Ordnung in ihrer Umwelt zum Ausdruck. Das Kind kann nicht in Unordnung leben, sie verursacht ihm Pein. 

Liest man dieses Zitat als Erwachsener ist für uns völlig klar was gemeint ist, oder? Kinder wollen alles aufgeräumt und sauber haben und sie werden daran teilhaben wollen, dass dies so ist. Wieso also ist das in der Praxis nicht so? Wieso räumen sie alle Schubladen aus und räumen sie nicht mehr ein? Wieso wird alles an Spielzeug wild im Zimmer verteilt und es gleicht danach einer Explosion? Wieso behauptet Maria Montessori so etwas, dabei stimmt es garnicht? Schnell sind dann die Begründungen gefunden: Montessori liegt falsch, mein Kind ist eben anders und Montessori ist doch nichts für uns...

Zum Einen ist dieses Zitat völlig aus dem Kontext gerissen, steht es alleine, kann es wirklich missverstanden werden, zum Anderen sind wir hier bei einem altbekannten Problem, welches Montessori erkannt hat. Erwachsene denken anders als Kinder und somit ist für uns Ordnung etwas ganz anderes, als es für Kinder der Fall ist. Ordnung ist für uns Sauberkeit, alles ist aufgeräumt, man stolpert über nichts und alles hat seinen Platz. Perfekt!

Für Kinder ist Ordnung viel mehr als das! Ordnung der Dinge, die natürlich Ordnung von allem, Abläufe, Routine ... das vermittelt dem Kind seine Umwelt und damit auch, das große Ganze zu verstehen. Für uns Eltern mag Ordnung ein aufgeräumtes Kinderzimmer bedeuten, für Kinder bedeutet das Begreifen der Ordnung, das Begreifen der Welt!

Ordnung bedeutet, die Lage der Gegenstände im Raum zu kennen, sich an die Stelle erinnern, wo jedes Ding sich befindet. Das wieder bedeutet, sich in seiner Umwelt zurechtzufinden und sie in allen ihren Einzelheiten zu besitzen. Besitz der Seele ist nur diejenige Umwelt, die man kennt, in der man sich mit geschlossenen Augen bewegen und jeden gesuchten Gegenstand wiederfinden kann. Nur wenn es seine Umwelt auf diese Weise besitzt, ist das Kind ruhig und glücklich. Offenbar also ist die Ordnungsliebe, wie Kinder sie verstehen und empfinden, etwas, das weit über den kalten und trockenen Begriff hinausgeht, den wir Erwachsenen uns davon machen.

Alles das zeigt, dass die Natur dem Kinde die Sensibilität für Ordnung einpflanzt, um einen inneren Sinn aufzubauen, der nicht so sehr Unterscheidung zwischen den Dingen ist, als vielmehr das Erkennen der Beziehung zwischen den Dingen. Diesen Sinn macht die ganze Umwelt des Kindes zu einem Ganzen, dessen Teile in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. In einer solchen, in ihrem Zusammenhängen bekannten Umwelt vermag das Kind sich zu orientieren, sich zu bewegen und seine Zwecke zu erreichen.

Wir Eltern können unsere Kinder in der sensiblen Phase der Ordnung unterstützen in denen wir ihnen viele Haltepunkte geben: 

Unsere Tagesabläufe sollten routiniert sein, so können sich die Kinder mit wachsendem Verständnis viel mehr auf die jeweiligen Situationen einstellen und diese verstehen. Sie fühlen sich dann nicht aus ihren Handlungen herausgerissen und somit missverstanden, was zu Konflikten führen kann.

Alles in unserem Umfeld sollte seinen festen Platz haben und auch nur zu seinen jeweiligen Funktionen genutzt werden! Für ein Kind ist es schwer zu verstehen, warum ein Glas zum Trinken genutzt wird. Das gleiche Glas vielleicht aber auch zum Gießen der Blumen. Wir verwirren es dadurch und es versteht die Zusammenhänge nicht. Helfen wir uns und unserem Kind! Geben wir allem einen festen Platz (in der Anwendung und dem Ort). Wir sind Vorbild. Unsere Kinder orientieren sich an uns und können so mit wachsender Handlungskompetenz Abläufe von uns übernehmen. Auch natürlich irgendwann das Aufräumen ihrer Spielsachen.

Und ganz wichtig! Es handelt sich hierbei um Kleinkinder, welche erst mal lernen müssen, wie aufräumen funktioniert. Die liebe Anna hat vor wenigen Tagen selbst einen Beitrag zum Thema Ordnung geschrieben, welchen ich hier gerne verlinken werde. Ganz wichtig möchte ich dabei die Reduktion der Spielsachen hervorheben. Noch immer werden unsere Kinder mit Spielsachen überhäuft und diese Überfülle an Material ist für unsere Kinder nicht überschaubar und somit nicht händelbar!

Nicht immer ist für uns Eltern zunächst verständlich über was sich unsere Kinder plötzlich so maßlos aufregen. Teilweise denken wir in diesem Moment oft sogar, dass wir gerade eigentlich garnichts getan haben, was ein Auslöser hätte sein können für diesen Gefühlsausbruch.

Auch diese Reaktionen sind Teil der sensiblen Phase der Ordnung! Ich habe dies auch schon einige Male bei dem Herzkind erleben dürfen und für unsere Kinder ist es wichtig, dass wir sie ernst nehmen! Nur dann können sie an dieser Situation wachsen und verstehen lernen. Jedes Verhalten hat einen Hintergrund und oft fühlt sich das Kind in seinem Ordnungsverständnis gestört, es passt nicht in sein aufgebautes bisheriges Weltbild und für unsere Kleinsten ist es schwer sich uns verständlich auszudrücken. Es liegt an uns, sie zu verstehen und nicht an unserer festgefahrenen Sicht der Ordnung fest zuhalten:

Das Kind empfindet die Ordnung nicht so, wie wir sie empfinden. Wir sind bereits reich an Eindrücken und daher abgestumpft; das Kind aber kommt aus dem Nichts und ist noch arm. Alles, was es schafft, schafft es aus dem Nichts; ganz allein nimmt es die Mühsal dieser Schöpfung auf sich und macht uns zu seinen Erben.
Das Kind leistet somit jene Vorbereitungsarbeit, auf Grund deren der Erwachsene dann imstande sein wird, sich im Leben zurechtzufinden und seinen Weg zu suchen. Während der sensiblen Perioden für Ordnung erteilt die Natur dem Menschen gleichsam eine erste Lektion.
Man könnte auch sagen, die Natur händige dem Kind in dieser Periode einen Kompaß aus, mit dessen Hilfe es sich in der Welt zurechtfinden kann.
Die Intelligenz des Menschen taucht nicht plötzlich aus dem Nichts empor; sie baut auf die Grundlagen auf, die das Kind während seiner sensiblen Peioden gelegt hat.
Wir sind darum reich, weil wir die Erben des Kindes sind, das alle Grundlagen unseres Daseins aus dem Nichts hervorgebracht hat. Das Kind vollzieht den ungeheuren ersten Schritt - den Schritt vom Nichts zum Anfang. So nahe ist es den Urquellen des Lebens, dass es handelt, um zu handeln, und so geschieht, was es nach dem Schöpfungsplan vollbringen soll, ohne Aufhebens davon zu machen, ja ohne dass auch nur eine Erinnerung daran im Gehirn des Erwachsenen verbliebe...

Wundervolle und wahre Worte von Maria Montessori (alle Zitate dieses Beitrags stammen aus ihrem Buch "Kinder sind anders")... bitte denken wir also in Zukunft daran, wenn wir unaufgeräumte Zimmer sehen oder wenn wir Gefühlsausbrüche unserer Kinder zunächst nicht verstehen... unsere Kinder bauen uns Erwachsene auf!. Sie beginnen aus dem Nichts und lernen jeden Tag... wir können sie begleiten und ihnen dabei helfen.


2 Kommentare:

  1. Servus!

    Ich lese bei Dir mit, und hinterlasse selten oder gar nie einen Kommentar. Aber für diesen Beitrag möchte ich Dir ganz herzlich danken! Ich mag in den Foren schon gar nicht mehr mitlesen, weil es echt grausam ist, was man da zu lesen bekommt.
    VG Sandra

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