Mittwoch, 19. Juli 2017

Kinder müssen Entscheidungen treffen!

Entscheidungen zu treffen gehört zu unserem Leben. 

Es gibt große und schwerwiegende Entscheidungen, die wir oft lange mit uns herumtragen, abwägen und prüfen. Und es gibt viele kleine alltägliche Entscheidungen, die wir treffen müssen.
Entscheidungen treffen zu können, muss  gelernt sein. Wir haben nicht von Geburt an, die nötigen Erfahrungen dazu, welche Tragweite manche Erfahrungen haben. Wir mussten mit jeder getroffenen Entscheidung in unserem Leben lernen umzugehen. Wir machten mit manchen Entscheidungen neue Erfahrungen und konnten für zukünftige Entscheidungen daraus lernen. Manche Entscheidungen trugen uns sehr weit und manche Entscheidungen konnten schmerzlich enden. Sei es physisch, aber auch psychisch. 
Um an all diesen Entscheidungen wirklich wachsen können, wirklich richtige Schlußfolgerungen ziehen und auch wirklich lernen zu können, muss uns von kleinauf Raum dafür gegeben werden. Und das beginnt schon damit, wenn wir neugeboren auf der Welt sind. Unsere Bedürfnisse müssen erkannt werden, unsere Gestik, die Mimik. Ist uns kalt, ist uns warm, haben wir wirklich Hunger oder sind wir satt. Wollen wir getragen werden, ist uns zuviel Trubel oder sind wir müde. Es mag so banal klingen!

Doch in dieser Entwicklungsphase sind gerade diese "kleinen, unscheinbaren Dinge" von Wichtigkeit. Sie fordern allerdings eine aufmerksame Gegenwärtigkeit des pflegenden Erwachsenen, denn gerade durch das ständige Üben in einer Vielzahl verschiedener Situationen erlangt das Kind das Vertrauen, dass es Entscheidungen treffen kann. Dieses Vertrauen erhöht sein Lebensgefühl, gibt auch dem Erwachsenen Gelegenheit zum Lernen und Wachsen und bereitet den Boden für harmonische Beziehungen.

Müssen wir uns als Eltern nicht oft Einhalt gebieten, nicht über die Köpfe unserer Kinder über jede kleinste Kleinigkeit zu entschieden? Es ist heiß draußen, also können sie nicht den Schal, die Mütze und die Handschuhe anziehen und diskutieren mit ihnen darüber. Die Kinder weinen vielleicht, schreien, sind wütend, wehren sich vielleicht sogar. Und am Ende gehen sie vielleicht wirklich ohne Schal, Mütze und Handschuhe nach draußen. Aber was haben sie dabei gelernt? Das ihre eigene Entscheidung nicht zählt? Das sie als Mensch nicht wahrgenommen, gehört und in ihren Entscheidungen akzepziert werden? Das es eben doch wirklich heiß ist und sie begonnen hätten mit ihrer Kleiderauswahl zuschwitzen und Schal, Mütze und Handschuhe dann doch abgelegt hätten? Das sie eine wichtige Erfahrung gemacht hätten?
Es ist ein kleines Beispiel, aber man sieht was in dieser Kleinigkeit alles steckt, für die Entwicklung des Kindes! Und dies ist auf so viele Dinge im Alltag mit Kindern übertragbar. 

Zum Menschen heranreifen, heisst aber -im gleichen Prozess, in dem alle anderen Fähigkeiten sich heranbilden - lernen, Entscheidungen zu treffen. Die Art der möglichen Entscheidungen hängt vom Reifestadium des heranwachsenden Menschen ab, doch der Akt des Sich-Entscheidens ist in seinem Kern der gleiche beim jungen wie beim reifen Menschen.
Wie jede organische Funktion muss auch die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, einem inneren Plan entsprechend aufgebaut und gestärkt werden. Und wie bei allen Funktionen des Organismus ist die Entwicklung nur dann zufriedenstellend, wenn die Umstände den Prozess begünstigen. Ist dies nicht der Fall, verkümmern selbst die besten Anlagen. Auch hier verblüfft uns wieder das Ineinandergreifen von inneren und äußeren Bedingungen. Der kleine Mensch braucht als günstige Umstände, um innerhalb seiner eigenen Grenzen Entscheidungen treffen zu können.

Geben wir unseren Kindern als nicht die Möglichkeit zur rechten Zeit bestimmte Entscheidungen für sich treffen zu können, kann sich dies negativ auf spätere Entscheidungen auswirken. Zum Beispiel, warum sie sich vielleicht zu Menschen hingezogen fühlen, die ihnen jegliche Entscheidungen abnehmen, da sie es selbst nie gelernt haben oder in sich selbst oder ihrer äußeren Umgebung Ordnung zu schaffen, da sie zulange diese Erfahrungen nicht machen konnten, wie es ist sich zu entscheiden warum Ordnung sinnvoll sein kann. 

Aber wann ist der richtige Zeitpunkt? Wann kann ich mein Kind, welche Entscheidungen treffen lassen? Ich glaube diese Fragen stellen wir uns als Eltern täglich. Sicherlich haben wir auch noch oft so ein kleines Stimmchen im Hinterkopf: "Das kann mein Kind doch noch garnicht entscheiden. Dafür ist es zu klein!" Aber ist das nicht vielleicht sogar die Stimme aus unserer Vergangenheit? Die wir selbst so oft als Kind haben hören müssen, wenn wir etwas tun und entscheiden wollten?

Die Fragen pauschal beantworten zu können ist schlicht und einfach nicht möglich! Denn dafür ist jedes Kind einfach zu individuell. Jedes Kind hat andere Voraussetzungen, entwickelt sich anders. Bei dem Einen früher und bei dem Anderen später. Wenn ich sage, dass meine Tochter mit ihren 18 Monaten schon frei entscheiden kann, ob sie alleine die Treppen hoch oder runter laufen möchte, dann gilt das nur für meine Tochter und der Tatsache, dass sie dafür schon ausreichend motorische Fähigkeiten entwickelt hat. Ein Kind das erst spät krabbeln und/ oder laufen gelernt hat oder vielleicht eine Körperbehinderung hat, auf dieses wird das was meine Tochter tut nicht zutreffen können. Es kann diese Entscheidung mit 18 Monaten alleine die Treppe zu nutzen nicht übernehmen. Dies müssen die Eltern noch tun. Dafür ist es aber vielleicht schon so reif, sich dafür zu entscheiden alleine spielen zu wollen und sich selbst zu beschäftigen. Hier müssen wir dann auch als Eltern diese Entscheidung akzeptieren und die Kinder ihr Spiel spielen lassen. Ein Einmischen kann den Spielfluss unterbrechen. Ein Einmischen, welches besagt, dass das Kind "nicht richtig" spielen würde, kann die Entscheidung des Kindes beeinflussen oder auch zu Streit führen.

In diesem beständigen Bemühen, das Kind in seinem Verlangen nach Erlebnissen einzudämmen oder zumindest anzuleiten oder umzuleiten, werden nicht nur ungeheure Kräfte - die des Kindes und der Erwachsenen - vergeudet. Wir beschwören damit auch Missmut und Spannungen  herauf, die uns das Zusammenleben mit Kindern schwermachen.

Ich muss jeden Tag aufs Neue meine Kinder ganz genau beobachten und ihre Entwicklungen erkennen. Ich muss jeden Tag ein kleines Stückchen mehr loslassen, wenn ich erkenne, sie sind dafür soweit. Ich darf mich nicht aus falscher Vorsicht heraus, vor mein Kind stellen und ihm wichtige Erfahrungen, die bei späteren Entscheidungen helfen können, nehmen. 

Hand in Hand mit dieser respektvollen Haltung in der Pflege des Kindes geht das Verständnis, dass sich das Kind Stück für Stück seine Selbstständigkeit zusammen mit körperlichen und mentalen Strukturen aufbaut.
Diese Entwicklung verläuft beim menschlichen Kind nur dann glücklich, wenn es durch seine wachsenden Fertigkeiten allmählich für sich selbst sorgen kann und damit immer unabhängiger wird. Außerdem braucht das Kind gleichzeitig das Erleben von Zusammensein und Kooperation und die Freiheit , in seinen Handlungen zu experimentieren, die Dinge nicht nur auf eine bestimmte Weise zu tun, sondern immer neue Varianten auszuprobieren.

Unsere Kinder werden irgendwann erwachsen sein und um handlungsfähige Erwachsene sein zu können, müssen sie lernen eigene Entscheidungen zu treffen und das von Anfang an. Für uns Eltern ist das nicht immer leicht, denn natürlich wird nicht alles direkt so funktionieren, wie es unsere Kinder möchten und einige Male werden wir uns dabei auf die Zunge beißen müssen und denken "Hab ich doch gesagt! und wir werden Frust- und Wuttränen ob der Fehlversuche trösten müssen. Und auch das gehört dazu, bei der Findung von Erfahrungen. Bei Entscheidung, um Entscheidung. 

Sicherlich werden jetzt einige von euch nach dem Lesen dieses Artikel denken: "Was soll ich denn noch alles machen? Soll ich meine Kinder alles entscheiden lassen? Dann komme ich ja zu nix! Und soll ich es auf die Straße rennen lassen, wenn es das so entschieden hat?"

Nein, wie schon in den Zitaten von Rebeca Wild aus ihrem Buch* "Freiheitund Grenzen - Liebe und Respekt" beschrieben, kommt es immer auf das Kind und seine aktuellen Fähigkeiten und Reife an, in wie weit ich es schon entscheiden lassen kann. Es soll ein Denkanstoß sein in täglichen Situationen noch genauer hinzuschauen. Wenn wir uns vielleicht selbst wieder sagen hören "Nein, das kannst du noch nicht." oder "Das geht aber anders." Halten wir uns einmal zurück, beobachten wir und schauen zu (wenn keine Gefahr besteht!) und wir werden oft sehen, was wir nicht denken zu sehen. Unsere Kinder sind zu mehr fähig, als wir ihnen oft zutrauen!

*Alle hier aufgeführten Zitate stammen aus oben genannten Buch. Der Link zum Buch ist ein Affiliate-Link.



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